Guten Morgen, lieber Klugschnacker,
spontane Antworten auf Briefe sind eigentlich nicht so meine Sache, ich lese die Briefe, die ich erhalte, gerne wieder und wieder und lasse meinen Gedanken dazu Zeit, aber heute muss ich eine Ausnahme machen und gleich eine erste kurze Antwort tippen, weil Träume so flüchtig sind und ich ihn eh aufschreiben müsste, um den Traum, den ich gerade kurz vor'm Aufwachen hatte, nicht zu vergessen.
Der Traum hat auch gar nicht wirklich mit deinem Brief zu tun, aber als ich las, dass du Charlotte Roche zitierst (und ich weiß noch nicht, ob ich deine Entschuldigung diesbezüglich annehme), dachte ich: Wie seltsam, dass er sie erwähnt, wo ich doch heute einen Traum hatte, der mich an Roche und ihre schamlosen Beschreibungen denken ließ. Das meiste habe ich schon wieder vergessen, weil Träume eben flüchtig sind, ich habe nur noch Fragmente, bzw. eine Sequenz im Kopf:
Ich, bzw. eigentlich bin es nicht ich, aber irgendwie auch doch, es ist nicht mein Körper, aber zwischendurch bin ich gefühlsmäßig immer wieder in dieser Person mit den langen, blonden Haaren... Also noch mal: Dieses Mädchen mit den langen, blonden Haaren schiebt ein kleines Kind im Kinderwagen durch eine Fußgängerzone. Das Kind sitzt in so einem Buggy, ist also kein Baby mehr, sondern schon ein bisschen größer. Ich hatte vorher jemanden gefragt, zu wem dieses Kind denn nun eigentlich gehöre, weil ich die Verwandtschaftsverhältnisse nicht verstanden hatte. Ich hatte Björn gefragt, glaube ich, aber irgendwie außerhalb der Handlung des Traumes, wie im Kino oder beim Fernsehen, wo ich ihm immer auf die Nerven gehe, wenn ich ihn frage, wer mit wem und warum..., weil ich die Handlung mal wieder nicht verstehe.
Ich (oder das Mädchen, aber ich glaube, in dem Moment war ich es) komme an eine Bank vor einer Kirche. Da sitzt eine Frau, die vielleicht meine Mutter ist oder die des Kindes oder beides. Sie ist noch ziemlich jung, vielleicht 40 Jahre alt oder so. Also eher nicht so jung, um die Mutter des Kindes zu sein. Sie sitzt zwischen zwei Teenagern, Jungs, eineiige Zwillinge, die längere Haare und ein wenig weibliche Gesichtszüge haben und dadurch androgyn wirken. Neben einem von denen sitzt ein etwas älterer Typ, vielleicht noch etwas älter als die Frau, die vielleicht meine Mutter ist und die im Laufe der kommenden Minuten auf jeden Fall meine Mutter ist, nur als ich komme (und später wieder gehe) ist sie es nicht sicher. (Träume....! Hier ist alles möglich und noch der verrückteste Schwachsinn logisch und schlüssig, ist das nicht großartig?)
Ein Mädchen oder noch ein Junge sitzt nicht auf der Bank, sondern steht neben/hinter mir.
Ich weiß nicht mehr, warum ich dorthin gehe, ich will irgendwas von der Frau, will ihr vielleicht das Kind bringen. Als sie mit mir zu sprechen beginnt, auf eine komische, aufgekratzte Art, so als sei sie betrunken oder habe irgendwelche Drogen genommen, beugt sich auf einmal der eine Zwilling über meine Mutter hinweg zu dem anderen herüber und küsst ihn heftig und intim. Meine Mutter lacht darüber und spricht einfach weiter, aber ich kann mich nicht auf das konzentrieren, was sie sagt, weil mich die Küsse der Zwillinge so irritieren.
Sie küssen dann auch meine Mutter. Der Junge oder das Mädchen neben mir fängt an, sich zu entkleiden, mitten in der Fußgängerzone, und sich zu zeigen, um sich dann wieder anzuziehen und um mich herum zu springen und mich aufzufordern, auch etwas zu zeigen. Meine Mutter ist begeistert und sagt, ich solle doch das "Segel auf deinen Schamlippen" mal zeigen. (
Träume...!)
Ich bin schüchtern und verängstigt und weil das Mädchen oder der Junge, das um mich herum springt, mich auch bedrängt, setze ich mich auf die Bank ganz am Ende und tue so, als zerre ich an meiner Hose, behaupte dann aber, dass die zu eng ist, um sie auszuziehen.
Als ich dann kurz darauf dort weggehe, denke ich, wie schrecklich es für das Kind gewesen sein musste, diese ganzen abstoßenden Dinge und Dialoge mitbekommen zu haben und frage mich, was davon es schon mitbekommen hat oder ob es noch zu klein ist.
Björn oder wen auch immer frage ich, quasi ins Off hinein, denn die Person geht nicht neben mir, ob das Kind jetzt eigentlich das Kind der Frau dort auf der Bank war (die auf einmal nicht mehr meine Mutter ist), wovon ich ja ausging. Aber er sagt genervt: "Nein, von der Schwester von....XY!" Ich habe vergessen, wessen Schwester, denn das hat mit dem Teil des Traumes zu tun, der vor der beschriebenen Sequenz liegt, aber davon weiß ich nichts mehr.
Auf einmal ist das Kind dann weg und ich laufe durch die volle Innenstadt, durch die Fußgängerzone der Stadt, die ich nicht benennen kann, die aber jedenfalls nicht meine ist. Ich muss schnell laufen, denn jemand begleitet mich auf dem Rad, jemand, der sich in dieser Stadt auskennt und den ich nicht verlieren will. Einmal biege ich falsch ab und er (auf einmal ist es mein Bruder) fährt geradeaus. Ich muss ihn mit den Augen rasch fokussieren, damit ich ihn in der Menge nicht verliere und quer über eine Wiese wieder zu ihm laufen, der sich mit suchenden Augen umschaut, weil er gemerkt hat, dass er mich verloren hat...
Puh... ein wirrer Traum, bzw. Teile eines wirren Traumes, die mich im Aufwachen ratlos machen. Warum träumte ich das? Hat es eine Bedeutung? Ich habe mich noch nie mit psychologischen Theorien zu Träumen beschäftigt, aber gerade dachte ich, dass es vermutlich nicht wichtig ist, sich mit dem Inhalt seiner Träume zu beschäftigen, sondern eher mit den Gefühlen, mit denen man darin in Kontakt kam.
Und das scheint mir auch der Grund zu sein, warum ich beim Lesen deines Briefes an meinen Traum dachte und ihn dir aufschrieb: Es ging auch um Scham. (Andere Gefühle waren Angst, Ekel, Verwirrtheit, Unsicherheit.)
Und weil du sagst, dass der erste Gedanke, der einem durch den Kopf geht, meistens der beste ist, hier rasch noch mein spontaner Gedanke zu Holgers Schamlosigkeit:
Das Lesen deiner Geschichte, und vor allem auch der drei Kommentare der männlichen Leser, hat mich heute Morgen spontan spüren lassen: Ich bin eine Frau und Männer sind seltsame, fremde, mitunter faszinierende Fabelwesen.
Mir fehlte das Verständnis für alle Männer in deiner Geschichte und auch für die Erheiterung, die die Schilderung bei drullse, LidlRacer und Hafu ausgelöst hat. Nur der Ekel, den Hafu andeutet, kann ich gut nachvollziehen.
Später vielleicht mehr, jetzt muss ich dringend los zur Arbeit, bin schon viel zu spät dran, weil ich versuchte, irre Träume festzuhalten.
Ich schreibe dir wieder. Ob es eine Antwort auf deinen Brief ist, weiß ich noch nicht, dazu muss ich mich noch mal in Rune mit deinem Brief beschäftigen.
Es wird aber sicher eher Mitte nächster Woche mit einer Antwort werden, weil ich über das Wochenende ins Münsterland fahre, um Hof und Tiere meiner Freundin zu hüten und am Montag und Dienstag muss ich noch mal nach der Klinik bis abends ins Altenheim.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und eine gute Zeit. Wenn du zwischendurch Zeit und Lust hast, mir zu schreiben: Sehr gerne, ich freue mich immer sehr über deine Briefe!
Viele Grüße
Judith