Das fnde ich eine sehr interessante Betrachtung aus einer anderen Perspektive.
jetzt mal ganz grob ausgeholt: Chancen dass man solche Funktionen von Religion und Glauben säkular bedienen könnte?
m.
Passiert doch. Besonders der amerikanische Kapitalismus gibt dir Hoffnung es schaffen zu können.
Wobei die Amis dass noch mit dem Glauben kombinieren, damit ja nichts schief geht. Auf 2 Beinen steht man besser
da sind sie ja diesseitig und jenseitig überabgesichert, kann nichts mehr schiefgehen mit dem besten Land der Welt
Was ich meinte ist, grob gesagt: Glaube und Religionen findet man in sehr vielen Kulturen (ich sage nicht allen, weil ich das nicht weiß, sehr viele ist aber sicher genug).
Man kann nun denken, irgendetwas daran spricht auf etwas an was Menschen bewegt - sonst wäre das nicht so: die Unkontrollierbarkeit der Welt und der Umwelt, der Drang Dinge zu personalisieren und anzusprechen, Hoffnung, Schicksal - das ist ein weites Feld.
Wenn man das erst einmal zugesteht und sich überlegt, das die Religion auf längerer Sicht Wissenschaft und Aufklärung quasi "zum Opfer fällt":
Was nimmt in einer rein weltlich geprägten Kultur diese Funktionen auf?
Verschwindet einfach das Motiv (wohl kaum ...)
Was nimmt in einer rein weltlich geprägten Kultur diese Funktionen auf?
Ich finde diese Frage sehr berechtigt und interessant, und ich meine, dass eine Gesellschaft darauf eine zutreffende Antwort finden muss.
Allerdings: Die Religionen geben darauf keine zutreffenden Antworten, sondern nur Antworten. Deswegen werden sie abgelöst. Nicht etwa, weil bösartige Atheisten einen "Feldzug gegen die Kirche" führen, wie hier schon zahlreich behauptet wurde.
Wie beantwortet nun eine moderne Gesellschaft die Fragen, Ängste oder Hoffnungen? Das tut sie nicht mit einer einzigen großen These ("Gott ist alles"), sondern mit vielen kleineren Dingen.
Angst vor Armut wird nicht durch göttliche Gnade genommen, sondern durch unsere Wirtschaft, das Bildungssystem, unser weitreichendes Sozialsystem, aber auch durch unsere traditionelle Lebensführung (Schule - Ausbildung - Beruf - Rente). Das ist ein komplexes, aber funktionierendes Räderwerk, und es ist für den Einzelnen halbwegs durchschaubar und berechenbar. Jeder kann ungefähr abschätzen: Wenn ich nur rumhänge, habe ich kein Geld (Bischöfe ausgenommen). Jeder sieht einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung.
Die Angst vor Naturgewalten haben wir gebändigt, indem wir die Natur verstehen. Denn das grenzt die Angst auf ein vernünftiges Maß ein. Wir verstehen, dass die Natur uns nicht "jagt", so wie uns ein Raubtier jagt. Sie bestraft nicht. Sondern bei Gewitter stellen wir uns nicht auf einen Acker, denn das wäre dumm. Unsere Technik beweist, dass wir die Natur effektiv bändigen können. Im Winter drehen wir die Heizung auf. Der Wetterbericht ist kein Gottesdienst, sondern eine Erläuterung physikalischer Vorgänge: Man kann auf dem Satellitenfilm sehen, wie kalte und warme Luft über Europa hinweg ziehen.
Angst vor Willkür wird durch unser halbwegs gerechtes und berechenbares Rechtssystem genommen. Es klagt nicht nur an, sondern es schützt auch.
Die moderne Medizin hat die Angst vor Krankheiten stark reduziert. Erstens gibt es überhaupt weniger Krankheiten, z.B. wurde Kindersterblichkeit im Westen dramatisch reduziert. Zweitens sind die meisten Krankheiten behandelbar und man stirbt nicht mehr wegen einer Grippe oder wegen einer großen Wunde, die sich weiter infiziert. Drittens ist auch das Prinzip von Ursache und Wirkung verstanden worden. Es ist kein unerklärliches Wunder. Wir sehen, dass technischer und wissenschaftlicher Fortschritt sich in medizinischem Fortschritt auszahlt. Es geht voran. Wir haben es in der Hand.
Die Angst vor Gemeinheit haben wir durch moderne Regeln des Zusammenlebens gebändigt. Etwa: "Leben und leben lassen". Oder: "Was Du nicht will, was man Dir tu', das füg' auch keinem anderen zu". (Oder mein Favorit aus Pippi Langstrumpf: "Halt den Mund und sing ein Lied".) Diese weisen Tugenden wurden vom Atheismus zurückerobert.
Das ist besser als es zu allen Zeiten war. Es ist vor allem besser, als es zu den besonders religiösen Zeiten war. Und es wird noch besser werden.
Die Menschen haben sich befreit. Ein Bischof könnte einwenden: "Aber was ist mit unseren Seelen?" -- Und ein Atheist könnte antworten: "Auch diese werden wir befreien, und wir werden dort den gleichen Zugewinn an Einsicht und Zufriedenheit bekommen".
Die Menschen haben sich befreit. Ein Bischof könnte einwenden: "Aber was ist mit unseren Seelen?" -- Und ein Atheist könnte antworten: "Auch diese werden wir befreien, und wir werden dort den gleichen Zugewinn an Einsicht und Zufriedenheit bekommen".
Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis wir den Inhalt unseres Gehirns auslesen können. Dann ist's auch nicht mehr weit zur unsterblichen Seele.
Es wird einem letztlich nichts anderes übrig bleiben als Unsicherheiten zu akzeptieren.
Mir ist klar, dass ich mein Leben und alles um mich herum nicht kontrollieren kann.
Was die Religion tut ist ja nichts anderes, als falsche Sicherheiten oder Hoffnungen zu versprechen.
Was wir brauchen ist Erkenntnis.
Es macht ja keinen Sinn ein Märchen durch eine anderes zu ersetzen.
Vielen Menschen fällt es schwer, diese Unsicherheit zu akzeptieren.
Es ist für viele Menschen tröstlicher, sich vorzustellen, der schon gestorbene Partner/Verwandte warte auf einen im Himmel, als hinzunehmen, dass es wirlich vorbei ist. Es ist für viele Menschen schöner, anzunehmen, dass es nach dem Tod weitergeht als das eigene Leben als kurzen Moment im Weltenlauf wahrzunehmen. Viele Menschen empfinden es als hilfreich, sich vorzustellen, dass Gott ihnen zuhört und gerade ihnen hilft - vielleicht sogar mehr als anderen.
Wie Du denke ich, dass das Wuschdenken ist, das die Kirchen mit falschen Sicherheiten instrumentalisieren. Aus Sicht vieler Gläubiger ergibt das aber trotzdem Sinn, wie die vergangenen zig Seiten in diesem thread zeigten.
Die Bändigung der Natur und der gesellschaftliche Wandel haben viele Unsicherheiten der menschlichen Existenz genommen; insofern finde ich nicht verwunderlich, dass in Gesellschaften mit (weitgehend) funktionierendem Sozialsystem weniger Gläubige im strengen Sinn gibt.
Wenn aber in unser Leben Unsicherheit einbricht wie schwere Krankheit oder Tod, werden auch bei uns häufig Hoffnungen und Wünsche wach. Da erscheint vielen Menschen dann die Naturwissenschaft "kalt" und dagegen das Versprechen (das aber eigentlich kein Mensch geben kann) auf eine von der Materie losgelöste Weiterexistenz verlockend. Das halte jeder Mensch wie er will. Ungut ist eine Instrumentalisierung und ein Geschäft mit diesem Versprechen.
Unsicherheiten und die insbesondere eigene Sterblichkeit hinzunehmen fällt vohl den allermeisten Menschen schwer. Den christlichen Gott finde ich persönlich allerdings kälter als das naturwissenschaftliche Bild. Im übrigen wird sich das naturwissenschafltiche Bild unserer Welt in Zukunft im Lichte neuer Erkenntnisse immer wieder wandeln. Mir ist nicht klar, wie hierbei religiöse Weisheiten konkret helfen können sollen abgesehen von sehr allgemeinen Sentenzen wie "immer offen bleiben" oder "man weiß es ja nicht"
Abgesehen davon halte ich das christliche Gottesbild auch aus historischer Sicht nicht für wahrscheinlich, weil doch klar erkennbar ist, wie frühere und zeitgenössische Kulte teilweise übernommen, teilweise abgelehnt, teilweise vermengt wurden. Dass daraus die eine Wahrheit erwachsen soll, halte ich für wenig glaubhaft.
Abgesehen davon halte ich das christliche Gottesbild auch aus historischer Sicht nicht für wahrscheinlich, weil doch klar erkennbar ist, wie frühere und zeitgenössische Kulte teilweise übernommen, teilweise abgelehnt, teilweise vermengt wurden. Dass daraus die eine Wahrheit erwachsen soll, halte ich für wenig glaubhaft.
Diese historischen Wurzeln des Christentums beweisen doch unausweichlich, dass es nicht vom Himmel gefallen, sondern nach und nach konstruiert wurde.
Die Kirchen sagen ihren Mitgliedern einfach nicht die Wahrheit. Sie suggerieren, als seien das Alte und Neue Testament und ihre Inhalte plötzlich erschienen, als Offenbarung. Aber das ist beweisbar nicht der Fall. Die Quellen (alte Schriften, Steintafeln, Hieroglyphen) kann jeder mit eigenen Augen ansehen. Dies ist keine Sache der persönlichen Meinung oder eines "Für mich...".
Das alleine ist doch der unwiderlegbare Beweis, dass die Behauptungen einer Offenbarung nicht wahr sind, und dass deswegen auch die Lehren der Kirchen über diese Offenbarung falsch sein müssen.
Hier ist eine Karte, die zeigt, wie sich durch Wanderungsbewegungen der Völker (Handel, kultureller Austausch) auch ihre religiösen Vorstellungen wandelten und oft kombinierten:
(Google: Phylogeny of world religions)
Das Bild oben zeigt Weltreligionen (Christentum im oberen Teil in roter Farbe).
Verfeinert man es zu "kirchlichen Religionen" (allein das Christentum ist ja sehr stark zersplittert), ergibt sich diese Baumstruktur:
Das Christentum befindet sich auf der rechten Seite in roter Farbe (das rote Bündel, mitte-rechts). Eine größere Version mit mehr Details (und lesbaren Beschriftungen) befindet sich hier: https://000024.org/religions_tree/religions_tree_8.html
Jedes der feinen Enden steht für eine Kirche, deren Mitglieder "felsenfest, unerschütterlich und mit höchster Glaubensgewissheit" davon überzeugt sind, dass sie allein richtig liegen und alle anderen dem Bösen verfallen sind.
Nicht die bösen Atheisten stehen dieser Behauptung entgegen, sondern die vielen anderen Religionen. Ein Gläubiger, der auf diese Karte blickt und sich nicht fragt: "Hm, irgendwas stimmt hier tatsächlich nicht", muss sich doch fairerweise die Frage stellen lassen, ob er nicht zugunsten seines Glaubens einfach die Realität ausblendet.