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Alt 02.09.2015, 20:46   #1
Angi91
Ist alles so schön bunt hier!
 
Registriert seit: 07.05.2012
Beiträge: 16
Roth 2015 - Wie sich die erste Langdistanz anfühlen kann

Hallo liebes Forum,

ich hatte vor drei Jahren mal einen Post über meine erste Sprintdistanz eröffnet, und da der Bericht ganz gut angekommen ist, dachte ich, meinen Bericht über meine erste Langdistanz dieses Jahr in Roth zu veröffentlichen.
Warum erst 8 Wochen danach - das erklärt sich im Bericht von selbst.

Würde mich freuen, wenn es jemand liest und wünsche viel Spaß

PS: Bericht ist aufgeteilt in zwei Teile, weil man nur 20.000 Zeichen haben darf...

Vorwettkampftag Samstag 11.Juli 2015
Um zehn Uhr verabschiedete ich mich zu Hause von meinen Eltern, mein Auto war vollbepackt mit all jener Ausrüstung, die ich morgen brauchen würde. Meine Schwester Nicki und ihr Freund Haui würden zum späteren Nachmittag mit dem Wohnmobil nach Hilpoltstein kommen, wo wir unweit des Schwimmstartes übernachten konnten.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl machte ich mich auf den Weg. Gut acht Monate Vorbereitung lagen hinter mir. Ich fühlte mich fit, dennoch fragte ich mich, ob mein Training ausgereicht hätte. Ich hatte mich in allen Disziplinen verbessert, keine Frage. Aber Langdistanz…
Auf der Autobahn kurz vor der Ausfahrt Roth ist dieses braune „Eventschild“ mit der Besonderheit der jeweiligen Region aufgestellt: „Triathlonregion Rothsee“.
Die leben dort wirklich für den Sport.
In Roth quetschte ich meinen Mini (ja da passt alles rein, von Neo bis Rad über Ersatzfelgen etc.) in eine Mini-Parklücke. Ich bin schon froh, nur ein kleines Auto zu haben, sonst wär ich da wahrscheinlich schon wieder ausgeflippt (hinsichtlich meiner Anspannung der letzten acht Tage auch kein Wunder).
Mental war es bei mir wirklich so, dass ich bis sechs Wochen vor Roth noch etwas Panik hatte a la – Ich muss trainieren!
Nach dem die harte letzte Trainingsphase drei Wochen vor dem Wettkampf für mich vorbei war, war mir alles egal. Da dacht ich nur, wird schon ins Ziel kommen.
Aber eine Woche vor dem Wettkampf wieder die Panik – Ich hätte mehr trainieren müssen.
Dabei lief mein Training eigentlich perfekt. Ich wurde kein einziges Mal krank, hatte keinerlei Probleme mit Verletzungen oder sonst was. Und ich trainierte trotzdem mehr Wochenstunden denn je. Also hatte ich irgendwo die richtige Balance für mich gefunden. Für einen Anfänger also gar nicht schlecht.
Ich holte also meine Startunterlagen ab im Triathlonpark. 568 war meine Startnummer. Super Zahl, wie ich finde. Die kann ich mir merken.
Ich schlenderte noch ein bisschen durch den Triathlonpark und schaute mir die Verkaufsstände an. Ich brauchte nichts, ich hatte alles, sodass ich mich auf den Weg in die Wechselzone 1 in Hilpoltstein machte.
Rad eingecheckt, Luft aus den Reifen raus gelassen (immerhin frisch beklebt nach meinem Wettkampf in Sankt Pölten), Trinken hab ich bereits dort gelassen. Es gab Galloway-Spucke (und das nennt sich Wettkampfernährung…), schmeckt eklig, aber bringt was.
Jedenfalls war ich um halb zwei fertig und trudelte zurück zum Auto, wo ich mir dachte, ich brauch noch irgendwas zu trinken und zu essen. So bin ich dann zum Edeka marschiert und hab mir Eistee und Kaba gekauft. Ich wollte noch Pistazien, aber wenn da eine Schlechte dabei ist, dann wars das mit dem Wettkampf – daher also keine Pistazien.
Danach bin ich noch zum Bäcker nebenan rein und hab mir eine Käsestange gekauft, an der ich mehr oder weniger rum kaute. Ich konnte nichts mehr essen. Die Nervosität schnürte mir schon fast meinen Magen ab, zumindest fühlte es sich so an.
Als ich da so blöd rum hockte, hab ich Sabine und Norbert gesehen. Ich hab mich gefreut, ich würd fast sagen, das sind meine Triathlon-Adoptiveltern. Weil immer, wenn ich was brauche, kann ich zu denen kommen. Das wäre in Roth genauso, das gibt schon Sicherheit und nimmt einem auch irgendwie die Angst, als wenn man jetzt komplett Einzelkämpfer wäre.
Natürlich haben mir beide Mut zugesprochen, ja ich musste einfach daran glauben, ins Ziel zu kommen. Und Spaß machen würde das alles bestimmt.
Im Anschluss suchte ich mir ein schattiges Plätzchen unter einem Baum, breitete meine Decke aus und schrieb ein bisschen an meinem Roth-Tagebuch weiter, während ich auf Nicki und Haui wartete. Zwischendrin hab ich wieder ein bisschen geschlafen, sofern das überhaupt möglich war.
Um kurz vor halb fünf waren die beiden dann da, wir holten unsere Campingstühle aus dem Wohnmobil und hockten in der Hitze. Hoffentlich kein Hitzschlag, dachte ich, aber zu späterer Stunde kriegt man den wohl eher nicht mehr.
Wir machten uns dann noch auf den Weg zur Wettkampfbesprechung, danach gingen wir noch ins Stadion. Das ist Gänsehaut pur, wenn man da drin steht, es ist alles leer, der rote Teppich wartet… und man selbst weiß, was am morgigen Tag hier los sein wird.
Danach gabs noch eklige Pizza, aber hier nicht mehr dazu… Wäre schade, den Bericht mit sowas miesem zu versauen.
Um halb zehn waren wir wieder am Wohnmobil, um zehn gings ins Bett… Wach war ich geschätzt noch zwei Stunden, aber immerhin hab ich geschlafen. Um drei war ich allerdings schon wieder fit. Oder was heißt fit… Ich war fetzenhin, aber schlafen konnte ich sowieso nicht mehr.

Wettkampftag Sonntag 12. Juli 2015
Um halb fünf stand ich auf. Zwei Toast mit Nutella, wäh. Ich konnte es kaum essen. Dazu noch Banane.
Meine dämlichen Armtattoos hab ich mir auch noch draufgeklatscht, aber irgendwie sind die lose gewesen. Weiß auch nicht, was da wieder schiefgelaufen ist.
Um 5 sind wir dann losmarschiert. Rad aufpumpen, Wechselbeutel hinlegen, nochmal alles durchgehen, ob alles da ist… das wäre erstrecht Panik gewesen, hätten Radschuhe gefehlt oder sowas… da wärs vorbei gewesen mit mir. Aber zum Glück hatte ich alles!
Ich quetschte mich dann in meinen Neoprenanzug rein. Die Zeit bis zum Start verging wahnsinnig schnell und ehe ich mich versah, verabschiedete ich mich von Nicki und Haui mit den Worten: „Aiso bis spada dann, so in 13 Stund hoffentlich.“
Irgendwo 12:30 Stunden wären wahrscheinlich schon gut machbar gewesen, aber ehrlich gesagt war mir das auch egal. Im Dezember hatte ich nochmal in meiner Altersklasse geschaut, da waren fünf Mädels angemeldet, also wusste ich, dass es mit dem Podium sowieso nix wird, und daher war es mir auch egal, mit welcher Zeit ich ins Ziel komme.
Andi meinte dazu mal in einem Schwimmtraining: „Stoi da vor, du werst jetzt irgendwie Dritte oder so, dann muasst do nomma hifohn zur Siegerehrung. Is doch scheiße!“
Wie wahr!
Also einfach nur genießen, das Beste geben und zufrieden im Ziel ankommen.
Ich gehörte zur dritten Startgruppe, also zweite Frauengruppe um 6:45 Uhr.
Zum Glück sah ich nur zwei Startgruppen vor mir starten, ansonsten wäre ich noch viel nervöser geworden. So hielt es sich in Grenzen. Als die erste Frauengruppe weg war, hat man uns ins Wasser gelassen, bis zur Linie vorgeschwommen, noch einmal konzentriert und sich den Neo zu Recht gerückt und plötzlich: KaBumm Startschuss.
Nervosität pur – diese legte sich aber nach 10 Armzügen, da ist man dann schon im Rennen und kommt sowieso nicht mehr aus. Sobald der Film einmal gestartet ist, ist die Nervosität weg und dieser Film endet erst wieder im Ziel.
Für mich stand es außer Frage, ob ich ins Ziel komme. Ich werde es schaffen! Meine Kollegen haben mir dazu auch viel zu viel Mut zugesprochen, als dass ich versagen dürfte. Jürgen meinte am Freitag, wo wir uns ins Wochenende verabschiedeten: „Wenns oane schafft dann du.“
An diesen Satz würde ich an diesem Tag noch öfter denken, als zunächst gedacht.
Das Schwimmen in Roth ist im Main-Donau-Kanal. Man schwimmt von der einen Brücke am Start, die mit Zuschauern bereits um sechs Uhr vollgestopft ist, los und schwimmt irgendwas über einen Kilometer entlang zur anderen Brücke. Besagte andere Brücke sieht man von der Startbrücke aus aber gar nicht. Total irre!
Die Wendeboje erreichte ich nach gut 26 Minuten und dachte mir: Mist Mann, noch nicht mal die Hälfte geschafft. Aber da half es nichts.
Nach ungefähr 45 Minuten hat meine verdammte Schwimmbrille so zu drücken begonnen. Dieses Problem hatte ich bei meinen Halbdistanzen bisher ja nicht, da war ich immer unter 40 Minuten fertig mit dem Schwimmen. Aber jetzt macht sich alles bemerkbar, was nicht 100 % passt. Ich überlegte sogar schon, ob ich die Brille kurz anhebe und die irgendwie anders wieder aufsetze, damit es nicht mehr so drückt. Aber dann hätte ich wieder Wasser in den Augen, was wiederrum brennen würde. Also aushalten und aufhören zu jammern. In einer halben Stunde wäre es sowieso vorbei, dachte ich mir.
Kurz darauf wurde mir schlecht von dem Main-Donau-Wasser, bzw. von meinem Wasserbauch, den ich mir in den 50 Minuten angesoffen habe. Damit hat sich mein Schmerzempfinden von meinen eingedätschten Augen auf meinen Magen verlagert. War also auch nicht verkehrt.
Die Startbrücke rückte auch immer näher und schon schwamm ich auch unten durch. Jetzt noch 800 Meter oder so. Das Schlimmste hab ich ja gleich, noch eine Wendeboje, die kam auch schneller als erwartet und schon war ich auf meinen letzten 400 Metern. Ich freute mich, alles war gut. Und schließlich ab aufs Land, ich schaute natürlich auf meine Uhr, 1:12 Stunde, woah, damit hab ich nie im Leben gerechnet! Ich hab zwar schon 1:08 Stunde auch geschafft, aber das war im 25-Meter-Becken, also eigentlich nicht zu vergleichen. Die Schwimmstrecke in Roth ist wirklich sehr human und immer geradeaus mit nur zwei Wendebojen, daher ist meine Zeit sogar realistisch.
Mein Wechsel ging recht schnell über die Bühne. Das ist in Roth super, man nimmt seinen Wechselbeutel mit, der schön der Reihe nach am Boden liegt, läuft damit ins Wechselzelt und schon kommt ein Helfer, nimmt einem den Beutel ab und hilft einen quasi beim Umziehen. Grade, dass sie einem nicht die Radschuhe noch zu machen (würden die bestimmt auch, wenn man das selber nicht schon gemacht hat).
Dann packen die noch den Neoprenanzug und alles andere in den Beutel, während man selber schon los zum Rad laufen darf. Meine Startnummer am Arm hatte sich komplett verabschiedet, die fuselte im Neoprenanzug.
Was half es, dann hatte ich halt keine Nummer mehr.
Nach einem Becher Iso vom Versorgungsstand hockte ich endlich auf meinem Rad. Endlich war das Schwimmen rum, endlich wieder normal atmen, endlich wieder normale Orientierung, kurzum: endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Endlich Radfahren, ich liebte ja Radfahren!
Ich startete richtig stark, wahrscheinlich wie alle. Allein schon wegen diesen Zuschauermassen auf der Brücke sofort nach 200 Metern kriegt man schon so einen Schub. Noch dazu sah ich Nicki auf der Brücke, die schrie etwas wie: „Woah bist du scho do?“
Ich versuchte mich zusammenzureißen und langsam zu tun, ich wollte ja keine Körner verballern. Aber es fühlte sich gut an, ich habe es nicht als große Anstrengung empfunden. Also einfach mal locker weiterfahren.
Ich freute mich in Roth sein zu dürfen, das Schwimmen ging einfach super, jetzt auf dem Rad ein bisschen zurückhalten, dann würde ich beim Marathon auch nicht so schnell eingehen, dachte ich.
Aber es kommt doch immer alles anders, als man denkt.
Ich fuhr so locker vor mich hin, doch irgendwie kam dann diese Linkskurve…
Das war die Ortsdurchfahrt Wallesau. Ich fuhr da mit meinen 35 KmH oder sowas, kam an, dann sah ich noch Heubüschel auf der „Geradeaus-Strecke“ und dachte mir noch: „Ouh, nach links muass i.“
Ich hab dann schon noch versucht zu bremsen und die Linkskurve zu nehmen, mein Gedanke dabei war nur: „Scheiße, des dergrei i nimma.“
Ich hätts wahrscheinlich gestanden, wenn ich nicht von zwei Gullideckeln ausgehebelt worden wäre. Keine Straßenhaftung mehr oder was weiß ich, und schon rutschte mir mein Radl nach rechts weg und ich landete auf der linken Seite.
Autsch! Zefix, dachte ich, hoffentlich ist meinem Radl nix passiert!
Die Helfer taten einen Aufschrei, ich schaute nur, dass ich schnell von der Straße wegkomme, dass mich die nachkommenden Fahrer nicht über den Haufen fahren.
Währenddessen hat mir ein Helfer bereits meine Trinkflaschen eingesammelt und mich gefragt, ob ich einen Verband wolle. Ich sagte nur so etwas wie: „Naa, mir geht’s guad, i brauch bloß mei Radl.“ Ich hatte echt am allermeisten Angst, dass mein Rad kaputt wäre oder irgendwas ist und ich nicht mehr weiter fahren kann. Ich schaute kurz, aber es schien nicht mal einen Kratzer abbekommen zu haben.
Ich bestückte mein Rad wieder mit den Trinkflaschen, bedankte mich bei den Leuten und tat so, als wäre alles in Ordnung. Ich hatte schon bemerkt, dass mein rechter Daumen weh tat, weil ich die Trinkflasche, welche mir der Helfer wiedergegeben hatte, nicht mehr halten konnte und stattdessen mit der linken Hand zugriff.
Aber so dringend würde ich die rechte Hand ja auch nicht brauchen zum Radln, das geht schon, sagte ich mir.
Nachdem ich auf meinem Rad saß, war für mich die Welt wieder in Ordnung, zunächst… Nach ein paar Metern hab ich verstanden, was der Helfer mit Verband meinte. Mir floss das Blut in Strömen aus meinem Ellenbogen den Arm runter, nach kurzer Zeit war der Oberlenker samt Hand voll mit Blut, gleichzeitig tropfte es auf meinen Oberschenkel. „Da hätt a Pflaster moi net gschadet“ hab ich mir gedacht, aber dafür war es jetzt halt auch schon zu spät… Wird schon irgendwann verkrusten und zu bluten aufhören… haha… An meinem rechten Daumen hatte ich auch drei blutige Löcher dran, aber das war ja nur was kleines, das konnte ich getrost ignorieren.
Meine Trinkflasche am Aerolenker hatte zum Glück Wasser drin, sodass ich erst mal einen Schluck nahm und damit auf meinen linken Arm spritzte, damit das Blut wieder weggeht. Kann ja nicht rumfahren wie so ein Vampir. Außerdem brauchte ich die vollgeblutete linke Hand ja zum Aufnehmen der Wasserflaschen an den Versorgungsständen, weil es mit meiner rechten Hand nicht mehr ging. Wie sieht das denn aus, wenn man da so ne blutige Hand hinhält…
Erst dachte ich, ich kann nicht mehr in der Aero-Lenker-Position fahren, denn wenn ich mich drauf legte, brannte die Wunde am linken Ellenbogen. Ich lag mal eine Zeit lang drauf, das ging gar nicht, es blutete noch viel mehr. Mein Pad, wo man die Ellenbogen reinlegt, ist zum Glück auch aus Gel und nicht aus Stoff, sodass ich das hin und wieder auch abwaschen konnte. Das musste ich auch tun, wenn ich mich hinlegen wollte, weil trockenes Pad viel mehr brennt als nasses Pad (hab ich festgestellt).
Ich fuhr dann in der Oberlenkerposition weiter, hielt mich mit beiden Händen fest. Bis auf das Vampir-Problem hatte ich die ersten 10 Kilometer wie gesagt nicht so Probleme. Der Daumen tat zwar weh, aber das ist nur eine Prellung, sagte ich mir… Das hätte auch funktioniert, wenn das Adrenalin nicht nachgelassen hätte (vermute ich mal). Der rechte Daumen ist bis ungefähr 20 Minuten nach dem Sturz grün und blau angelaufen und um das Eineinhalbfache angeschwollen. Dann tat es auch richtig weh. Schalten ging mit der rechten Hand sowieso nicht mehr.
Ok, das ist keine Prellung mehr, das wusste ich. Ich dachte nur einmal drüber nach, was passiert, wenn der Daumen gebrochen ist und ich jetzt beende. Ich kam zu dem Ergebnis, dass es keinen Unterschied macht, ob ich aufgebe oder finishe. Gebrochen ist gebrochen, behandelt muss es so oder so werden, aber schlimmer würde ich es jetzt doch bestimmt nicht machen, bloß, weil ich noch ein bisschen Sport treibe .Die restliche Wegstrecke werde ich halt Höllenqualen leiden, aber schief zusammenwachsen würde der Daumen deswegen jetzt auch nicht. Ein Hoch auf die deutsche Medizin, schrie ich innerlich. Ich entschied mich also für die Schmerzen, denn ich dachte an Jürgen. „Wenns oane schafft, dann du.“
Außerdem wusste ich zu dem Zeitpunkt ja noch nicht, dass es wirklich gebrochen sein würde. Könnte ja immer noch nur eine Prellung sein… Nein, eigentlich wusste ich, dass es gebrochen war, denn Prellungen hatte ich schon öfter und die waren anders.
Aber ich würde es ignorieren. Ab und zu Wasser drüber zur Kühlung, das war sehr angenehm.
Viel mehr machte mir mein Ellenbogen Sorgen… „Wenn ich da jetzt an Dreck rein krieg, dann hab ich bald ne Blutvergiftung… ABER die breitet sich ja net innerhalb von 12 Stunden aus  Also das reicht auch, sich nach dem Wettkampf noch darum zu kümmern.“ Ja ich hab an viele Horrorszenarien gedacht.
Alle 20 bis 30 km kam eine Versorgungsstelle, wo ich eine Wasserflasche nahm, um meine Wunden zu waschen und meinen Daumen zu kühlen.
Ich versuchte dann, mich für eine Position zu entscheiden. Oberlenker dann, wenn es den Berg raufgeht. Nur musste ich meine rechte Hand bei jeder Bodenwelle, bei jedem Gullideckel und sonstigen Unebenheiten hoch halten, damit es nicht zu sehr weh tut.
Aerolenker meistens dann, wenn es lange geradeaus geht und ich genug Wasser zum „Pad-befeuchten“ hatte. Manchmal hab ich den linken Arm auch am Oberlenker gelassen, damit die Wunde Ruhe hatte und es nicht wieder von vorne anfängt. Ich bin dann oft also in einer Mischform: rechts Aero, links Ober, gefahren. Muss schrecklich ausgeschaut haben, aber so ging es gut. Bis auf das, dass ich Verspannungen im Genick bekam, aber was war das schon…
Ich konnte mich so ganz gut motivieren und ich hatte auch richtig viel Spaß.
Kurz vor Greding fährt man über eine Brücke drüber, die über die Autobahn führt. Von da unten gab es ein Hupkonzert der Autos, sogar hier wird man noch angefeuert. Alle wussten Bescheid, was an diesem Tag war.
Greding ging es rauf, und nach dem steilsten Abschnitt sah ich Andi, Hias, Nicole und Reinhard stehen, die mich anfeuerten. Ich weiß nicht mehr, ob ich was gesagt habe, aber ich freute mich. Wahrscheinlich bekam ich nur ein schreiendes „Ijööö“ raus oder sowas, aber denken war nicht mehr machbar.
Greding raufzufahren ist schon Wahnsinn. Ich freute mich wirklich die ganze Zeit und musste immer blöd grinsen.
Nach Greding folgte eine Abfahrt mit Serpentinen. Die bin ich dann extra langsam abgefahren. Ich habs ohnehin nicht so mit Abfahren, aber mir tat sowieso schon alles weh. Einen weiteren Sturz würde ich nicht aushalten (und vermutlich könnte ich mir da nicht so lange Einreden, dass alles OK ist und dass man getrost fnishen kann. Denn dann wäre ich am Ende gewesen).
Also bin ich da ungefähr mit 30 KmH runtergefahren, während alle anderen an mir vorbei bretterten. Mir doch egal!
Dann kam ich rein nach Hilpoltstein, die Fahrt zum Solarer Berg.
Das ist so ungefähr das Geilste, was es auf der ganzen Welt geben kann!
Menschen über Menschen, massenhaft… Man weiß nicht, wo man fahren kann oder darf, es gibt nur eine kleine Gasse, die sie einem lassen, und sie feiern und feuern jeden an. Man kriegt Laola-Wellen, man wird angesungen und angeschrien, mit Trillerpfeifen und Geklatsche. So eine Stimmung über den ganzen Tag hinweg, wohl etwas um die 50.000 Leute allein an dem Berg… davon kann jeder Fußballverein nur träumen.
Für mich war es auch wie in einem Traum, ich spürte gar nicht mehr, dass ich noch Rad fahre, es ist wie einem Film. Ich musste nur grinsen und freute mich. Und wenn man noch ein bisschen mitfeiert, wird man sogar doppelt angefeuert. Das ist einfach unglaublich. Man könnte dann echt denken, dass die alle nur wegen einem selber da stehen und nur auf dich warten.
Klar, bescheuert, können ja nicht acht Stunden warten, bis ich meine zwei Runden gefahren hab, aber so fühlt es sich halt an.
Es war wie gesagt WAHNSINN!
Eigentlich war dieser verdammte Berg viel zu schnell vorbei!
Mir ging es gut, und jetzt zu finishen, stand außer Frage.
Nach 83 Kilometern war ich wieder am Beginn der Radrunde, wo ich meine Schwester traf. Ich bekam wieder keinen anständigen Satz raus, nur so dummes Geschreie (Ijööö)… Ich dachte mir, das kann doch nicht sein, dass ich hier Fans stehen hab und dann nur rumschreie und nix normales sagen kann. Ich überlegte mir also, was ich denen dann so erzählen werde. Über so einen Quatsch machte ich mir nach 100 km noch Gedanken, da hatte ich noch keine anderen Probleme (also bis auf die Daumen und Ellenbogensache).
__________________
Lerne zu leiden ohne zu klagen
Angi91 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2015, 20:46   #2
Angi91
Ist alles so schön bunt hier!
 
Registriert seit: 07.05.2012
Beiträge: 16
Naja, diese Gedanken lies ich sehr schnell los, als es begann mir richtig dreckig zu gehen. Mir wurde schlecht. Die Kraft ging aus. Galloway-Spucke hatte ausgedient, ich konnte es nicht mehr sehen. Einfach ekelhaft. Bevor ich kotzen würde, dachte ich, versuche ich mal Iso. Das ging dann besser. Schlecht war mir trotzdem noch, und mir wurde schon richtig schwindelig. Noch mehr Iso! Jetzt viel trinken, bloß nicht nochmal vom Rad fallen. OK…
Das hielt erst mal eine Weile.
In Greding traf ich wieder auf Reinhard und Nicole, die wieder was Aufbauendes zu sagen hatten wie „Gut schauts aus“ oder „Weit is es nimma“ oder „Glei hast as“ (das sind alles LÜGEN! Das weiß ich, aber ist trotzdem schön zu hören ).
Greding war noch ganz gut zu machen, aber danach zog sich die Auffahrt zum Kalvarienberg. Dort oben ist die Stimmung auch nicht schlecht, dafür, dass nur wenige Zuschauer dort stehen. Aber ich hatte keine Lust mehr zu feiern. Ich riss mich zusammen und grinste trotzdem noch (kann ja nicht so a dumme Lätschn hinziehen, wenn die da extra wegen mir da rumstehen).
Danach war ich aber froh, dass ich erst mal meine Ruhe hatte. Dumme Lätsche ziehen, sich selbst ein bisschen bemitleiden…
Bis zum Solarer Berg hielt sich das aber so bei mir. Ich hatte schlichtweg keinen Bock mehr! Mir ging es einfach so dreckig, bei aller Liebe, ich hätte wirklich schon kotzen können. Mir wurde so oft schwarz vor Augen, und ich gluckerte wieder Wasser und Galloway und Iso rein. So viel konnte ich aber nicht mehr runter saufen, so oft wie mir schwarz wurde.
Ich habe mich dann selbst zusammen geschissen: „Stoi di hoit no mehr o! De 40 Kilometer schaffst jetz aa no.“
Ich sagte mir, ich dürfe nur die nächsten eineinhalb Stunden nicht nochmal vom Rad fallen, dann hab ich es hinter mir und ich darf laufen. Und was beim Marathon passiert, ist egal. Was in Roth ist, bleibt in Roth.
Dieses: „Nur noch 40 Kilometer“ gab mir dann die Motivation, durchzuhalten. Das war mein absoluter Tiefpunkt! Zumindest auf dem Fahrrad.
Dann kam der Solarer Berg. Ich hatte eigentlich keinen Bock mehr. Die ganze Masse, die einen feiert, einfach schrecklich! Dann muss man so tun, als würde man sich freuen, und das war einfach so anstrengend.
ABER, kaum bin ich auf den Solarer Berg zugefahren, musste ich doch schon wieder grinsen und feierte schlussendlich doch gern.
Der Berg war mal wieder viel zu kurz und oben angekommen hab ich Nicki und Haui gesehen. Nicki ist dann mit mir mitgelaufen und fragte: „Woah du arme Sau, wia geht’s da?“ Ich sagte so: „Scheiße, nach 10 Km hots mi scho vom Radl ghaut, aba net so schlimm.“
Nicki antwortete nur noch: „Shit, aba glei host as, dann sehngma uns beim Laffa.“
Noch um die 30 Kilometer.
Noch um die eine Stunde.
Ich hatte Verspannungen im Genick von meinem krummen Gesitze, Schmerzen in Daumen und Ellenbogen, die immer stärker wurden, immer mal wieder ein Blutstrom, Schwindel, Mental am Ende. Wirklich am Ende. Aber beim Laufen wird alles besser! Das redete ich mir solange ein, bis ich es selbst glaubte. Ich muss es nur noch eine Stunde lang aushalten, dann hab ich das allerschlimmste geschafft (wie war das am Anfang? Ich liebe Radfahren?). Denn beim Laufen müsste ich nicht mehr auf meine Arme aufpassen, mein Genick könnte entspannen, ich könnte auch einfach mal gehen oder stehen bleiben, wenn mir schwindelig wird. Ja beim Laufen wird alles besser!
Und so schaffte ich die letzten 30 Kilometer doch irgendwie.
Nach 6:23 Stunden hatte ich es geschafft!
Die Helfer nahmen mir mein Foltergerät (Rad) ab, endlich muss ich es nicht mehr sehen! Eine Helferin suchte bereits meinen Beutel raus und eine andere kam sofort auf mich zu und half mir beim umziehen und einpacken.
Man fragte mich, ob ich für meine Wunden irgendetwas bräuchte und ich dachte, ja, ein Pflaster wäre nicht verkehrt.
Das Rote Kreuz hatte mir dann für Ellenbogen und Daumen Pflaster zu Recht geschnitten. In dem Sanitätsbereich hab ich andere Athleten rum liegen sehen und dachte mir, da bin ich ja noch mal gut davon gekommen. Aber nicht zu früh freuen, das war mir klar. Es lagen ja noch 42 Kilometer vor mir, aber die sind ja niemals so schlimm als 30 Kilometer Rad zu fahren (äh ja… das redete ich mir wie gesagt ein).
Ich lief dann hochengagiert aus dem Wechselzelt raus, und verlor prompt mein Ellenbogenpflaster. Das hat sich ja rentiert! Die Zuschauer standen da schon wieder und feierten, doch ich spürte neuerliche andere Schmerzen…
Ich nahm einen Becher Cola, trank und lief vor den Zuschauern erst mal weiter. Dann ging es zwei Mal rechts um eine Kurve, die Zuschauer waren weg und ich ging.
Meine Hüfte.
Bei jedem Schritt spürte ich ein Stechen.
Klar, ich wusste schon, wovon das kam. Das war auch meinem Sturz zu verdanken. Toll. Ich hätte abkotzen können, mal wieder.
Ok, ruhig bleiben, erst mal gehen.
Ich schlenderte dann so dumm vor mich hin, dachte mir, jetzt geh ich erst mal aufs Klo, und dann lauf ich los.
Bis ein Klo auftauchte, dauerte es 4 Kilometer. Aber das Klo brachte mich dazu, immerhin mal 4 Kilometer zu gehen.
Ich besuchte das Klo, zog an der Hose, Autsch. Kruste aufgerissen. Jetzt hatte ich da auch noch eine riesige Wunde, na toll.
Nein wirklich, ich hatte keine Lust mehr, einfach null.
Aber aufgeben, niemals. „Wenns oane schafft, dann du.“
Ich hab mir nochmal einen Becher Cola geholt und bin weiter gegangen. Ich lachte mich selbst aus und sagte mir: „Sind doch bloß noch 38 Kilometer, das ist doch gar nix!“
In dem Moment hätte ich fast zu heulen begonnen. Es tat einfach alles weh.
Außer meine Muskeln, die waren tiefenentspannt. Klar, meine Muskeln waren die einzigen, die heute noch nichts leisten mussten. Außer meine Genickmuskeln, die schon.
Ich spazierte wie gesagt dann erst mal weiter und rechnete im Hirn aus (zumindest versuchte ich es), ob ich es dann im Zeitlimit von 15 Stunden schaffen würde, wenn ich den Marathon einfach gehend bewältige. Immerhin hatte ich noch um die sieben Stunden dafür Zeit. Aber letztlich kam ich zu dem Ergebnis, dass ich doch noch ein bisschen laufen müsste, wenn ich die 15 Stunden schaffen wollte. Nur irgendwie ins Ziel, mehr wollte ich nicht!
Ich versuchte dann einen Laufrythmus zu finden, der mich nicht überforderte. Ich ging im Schatten und lief in der Sonne. Das ging ungefähr bis Kilometer acht so, als es nur noch Sonne gab… und ich lief! Ich ignorierte meine Hüfte bzw. musste damit halt leben. Irgendwie musste es einfach gehen.
Ich konnte mich dann sogar wieder freuen und grinsen. Ich konnte mich wieder feiern lassen und mir ging es mehr oder weniger gut. Ich hatte mich wieder gefangen und ich fühlte mich quasi fast unschlagbar.
Das Dorf zwischen Kilometer 11 und 14 (oder so?) machte auch super Stimmung, die Leute, die dort wohnen, stellten ihre Rasensprenger auf. Alle sind da bemüht um die Athleten. Die leben wirklich dafür.
Bei Kilometer 21 hab ich Nicole dann wieder gesehen und mich natürlich gefreut. Irgendwas mit: „Super schaust aus“ oder sowas hab ich gehört. Ich musste immer grinsen. Da gibt’s Lachfalten bei so ner Langdistanz… Egal! Es war geil.
Es war wieder wie im Traum, ich war gut drauf!
Doch dann… dann kam Kilometer 25, und dort ging es in ein Waldstück rein. Es ist da eigentlich wunderschön zu laufen, aber irgendwie war ab da der Stecker gezogen.
Mein Magen schnürte sich ab, mir wurde schlecht. OK, vielleicht das nächste Klo ansteuern, vielleicht geht es dann wieder besser. Das Klo kam, danach war mir erst richtig schlecht. Ich nahm mir ein Cola, konnte es aber nicht trinken.
Ich hab es nicht runter bekommen. Mein Magen hatte nichts mehr rein gelassen.
Mein Körper rebellierte, es reichte einfach, und das zeigte er mir über meinen Magen.
Ich wollte dann weiter laufen, aber diese unruhige Laufbewegung schlug sehr auf meinen Magen und mir wurde damit nur noch mehr schlecht. Dazu kam wieder der Schwindel und ich hatte Angst, dass ich wirklich einfach umkippe.
Und wenn ich umkippe, kommen die Sanitäter und nehmen mich aus dem Rennen. Das wollte ich nicht! Ich hatte nur noch 17 Kilometer und die wollte ich jetzt schaffen, egal wie! Hauptsache Ziel, mir war alles andere egal.
Ich ging, die Zuschauer dort feuerten natürlich an, aber ich konnte beim besten Willen nicht mehr laufen.
Dazu war ich so müde, dachte an den gestrigen Tag, wo ich unter dem Baum gelegen bin und mir dachte, wie gern ich dort doch wieder liegen würde und jetzt nur kurz schlafen wollte.
Bei Kilometer 32 lag ein Athlet, der schlief seelenruhig und ich dachte mir, ich leg mich gleich mit dazu. Aber dann würde die Quälerei noch viel länger dauern, und ich muss doch ins Ziel. Ich ging an dem Typ vorbei.
Ich bekam sogar ein schlechtes Gewissen, weil Nicki und Haui solange auf mich warten mussten.
Ich sah dann kurz vor mich und hinter mich, da war in guter Entfernung grade niemand unterwegs, sodass ich mir den Finger in den Hals steckte um endlich zu kotzen. Aber mein Magen war zu stark und er behielt alles. Aber dass er einfach mal Cola aufnimmt, dazu war er zu schwach… na toll.
Normale Übelkeit war das für mich auch nicht mehr, ich hatte noch nie so etwas, und ich war ja nicht mal schnell gelaufen. Irgendwo werden sich diese unterdrückten Schmerzen halt auf meinen Kreislauf ausgewirkt haben oder was weiß ich. Ich will nichts schön reden, aber Magenprobleme hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie (klar, wenn nicht bei ner Langdistanz, wann dann).
Ich ging dann einfach weiter, weil es ja nichts half. Laufen konnte ich nicht mehr, und stehenbleiben konnte ich auch nicht, also was blieb mir anderes übrig.
Bei Kilometer 35 versuchte ich es dann nochmal mit Cola. Nichts reingekriegt.
Kurz nach dem Versorgungsstand war ein Grill angeheizt, mit lecker Wurst und Fleisch drauf, es roch eigentlich sehr gut. Doch dieser Geruch hat dann den Würgereiz ausgelöst. Ich schaute nur noch, dass ich mich hinter einer Hecke versteckte, damit die mit ihrem Grillabend das nicht mit ansehen mussten, beugte mich über ein Abflussgitter und da floss es rein.
Ich fragte mich, was ich da genau kotzte, ich hatte ja seit 10 Kilometern weder Wasser noch Cola oder sonst was zu mir genommen.
Jedenfalls freute ich mich, dass mein Magen endlich erleichtert war und wollte loslaufen. Aber nein, so funktioniert das nicht. Der Magen ist zwar leer, aber schlecht war mir trotzdem noch, sodass ich keine fünf Meter später erneut stehenblieb und wieder kotzte.
Noch 7 Kilometer.
Das bin ich daheim schon tausende Male gelaufen.
Wenn es eine schafft, dann du.
Ich versuchte dann vor den Zuschauern zu laufen (damit die einen nicht zu sehr anfeuern, weil ich eigentlich nur meine Ruhe wollte) und wenn niemand hier ist, ging ich. Aber immer, wenn ich dann zu laufen versuchte, stieg es wieder hoch. Also schnell weglaufen vor den Zuschauern, stilles Eck suchen und hingekotzt.
Dann kam das Schild mit KM36 und ich dachte, waaas noch so weit?
Seit dem ich gekotzt habe, zog sich jeder Kilometer bis ins gefühlt Unendliche.
Am KM37-Schild hab ich auch noch gekotzt.
Dann kam KM38 und es ging so langsam zurück nach Roth. Man läuft dann so einen minimalen Anstieg hoch, wo die Zuschauer schon wieder stehen und anfeuern, mal wieder startete ich einen Versuch zu laufen, doch ich bin keine 100 m weit gekommen, wieder kam alles hoch. Zwei Meter später wieder.
Die Zuschauer sagten nur: „Du hast es gleich, das ist wirklich nicht mehr weit, mach es einfach irgendwie fertig, du schaffst das.“
Ja! Ich werde es schaffen. Fünf Mal gekotzt und immer noch nicht genug!
Ich bin dann einfach wieder gegangen. Finito, kein Laufversuch mehr!
Kurz vor KM40 hab ich dann Nicki, Haui und meine Eltern stehen sehen, ich hab mich so gefreut. Wenn ich nicht so leer im Hirn gewesen wäre, hätte ich das vielleicht auch eher zeigen können.
Ich konnte dann endlich mal mit wem ratschen und mit „Berechtigung gehen“, dachte ich mir. Dann schaut das nicht so dumm aus. Nicki redete mir gut zu: „Da unten in der Innenstadt sans bloß no 2,1 km, sagt der Sprecher oiwa, de schaffst jetz aa no!“
Ich sagte: „Ja irgendwia, des is jetz aa scho wuascht. Bis dann!“
Meine Mama wollte dann noch ein paar schöne Fotos fürs Familienalbum und sagte: „Dua moi so wia wennst laaffst.“
Und ich so: „Ha! Dann sieghst mi bloß schbeim!“
Das ging einfach nicht. Ich hatte mich damit abgefunden, einfach nur zu gehen.
Dann kam man allerdings an den Rother Marktplatz, wo eine 200 m-lange Schlaufe aus Biertischen aneinander gereiht aufgebaut war und dort Zuschauer saßen und richtig Stimmung machten. Es wäre zu schade gewesen, da einfach nur zu gehen, sodass ich wieder gelaufen bin.
Mein Magen organsierte nach diesen 200 Metern eine weitere Rebellion. Ich lief gerade an zwei Restaurants vorbei, wechselte extra die Straßenseite, damit die das nicht so mit bekommen, stellte mich hin und wie immer reichte einmal kotzen nicht aus.
Wie immer zwei Meter später wieder… Was genau ich da immer kotzte, ich weiß es nicht. Ich hatte 15 KM (also bestimmt schon seit 2 Stunden) nichts mehr getrunken.
Ich ging dann wieder weiter und traf wieder auf meine Familie. „Bloß no fünf Kurven, dann hast as.“
OK, damit kann ich schon leben. Noch um die 1,5 KM. Was solls.
Meine Mama dazu nur: „Du konnst jetz aber net ins Ziel geh, da muasst scho laffa.“
Ja mal sehen, wenn ich denen ins Ziel kotzen will.
Einen Kilometer lang bin ich dann noch gegangen, wie lange so ein Kilometer sein kann, es ist unglaublich.
Ungefähr 500 Meter vorm Ziel war dann der rote Teppich ausgerollt und ich begann zu laufen. Die Zuschauermassen säumten den Weg und feuerten so stark an, es war fast wie am Solarer Berg, nur dieses Mal war es wirklich ein Traum, denn gleich würde es geschafft sein!
Ich hatte alle Schmerzen vergessen, alle Übelkeit, ich fühlte nichts mehr davon, nur noch Glückseligkeit!
Kurz vor dem Stadion hab ich Norbert, Sabine und Kerstin stehen sehen, welche mir auch noch zujubelten: „Gleich hast es!“
Ich war so leer im Kopf, ich konnte nur noch grinsen, aber keine Antwort mehr geben.
Wozu auch, die wussten wie es mir geht, alles selber Langdistanzathleten.
Ich lief auf das Stadion zu und es erwartete mich ein Lautstärkepegel, das war Gänsehaut pur. Ich weiß zwar nicht mehr, ob ich Gänsehaut hatte, aber es war einfach unglaublich.
Die letzten 200 m riss ich meine Arme in die Höhe und ballte meine linke Hand zur Siegerfaust (die rechte Hand tat einfach zu weh).
Ich hatte es geschafft! Ich war Ironman!
Wäre ich nicht so ausgetrocknet gewesen, hätte ich wahrscheinlich zu heulen begonnen.
Ich bekam meine Medaille umgehängt, ich sah meine Leute stehen an der Absperrung von Zuschauer zu Athleten und checkte einfach nichts mehr. Sie würden hier im Stadion bleiben und ich sagte, ich würde zu ihnen rein kommen, muss jetzt eben mein Zeug abholen, Shirt und Urkunde und sowas, und wäre dann gleich da.
Ich kam dann in das Stadion rein und niemand war mehr da, wo sie vorher standen. Ich wollte sie dann suchen, doch dieser Baum… da war so ein Baum, der war wie der gestrige (eigentlich war es auch nur ein Laubbaum und hatte sonst nichts mit dem anderen Baum gemeinsam), sodass ich mich unten rein hockte und mir sagte: Nur fünf Minuten nicht gehen müssen und niemanden suchen müssen. Nur fünf Minuten Ruhe… Ich wäre fast eingeschlafen, stand dann wieder auf und wusste, dass ich meine Leute suchen musste. Doch dann stand da diese Bank, eine wunderschöne Parkbank, quasi die schönste Parkbank auf der ganzen Welt, und ich sagte mir: Nur fünf Minuten nicht gehen müssen…
Ich latschte dann in den Biergarten, der kurz vor dem Stadion aufgebaut war, weil ich dachte, vielleicht sind sie ja dort.
Gefunden hab ich Sabine, Kerstin und Norbert, also da war ich schon glücklich überhaupt jemanden gefunden zu haben, auch wenn ich das vielleicht nicht so zeigen konnte.
Wir machten uns breit an einem Biertisch, Kerstin kaufte mir ein weißes Limo (weil ich das Cola leider ja nicht mehr sehen konnte). Das war so ziemlich das beste Limo, das ich je getrunken hatte.
Sabine hatte dann meine Eltern gesucht, ich glaub Kerstin auch. Ich hab das nicht mehr so realisiert. Ich saß nur da und schaute doof. Norbert sagte mir dann, ich wäre zweite in meiner Altersklasse und ich sagte, was sind da dann drei ausgestiegen oder was?
Zu fünft waren wir ursprünglich.
Also war ich deutsche Vizemeisterin, es sei denn, die Venezolanerin wäre erste, dann wär ich sogar deutsche Meisterin. Aber das war mir trotzdem alles wurscht, ich hatte Schmerzen, und eigentlich wollte ich auch nicht nochmal zur Siegerehrung fahren.
Meine Leute sind dann doch irgendwie aufgetaucht. Denen wurde von einer im Stadion gesagt: „Ja die Finisher kommen hier nicht mehr her, die gehen dann gleich raus.“
Also sind meine Leute auch aus dem Stadion und haben dort wiederum mich gesucht.
Schlussendlich sind ich und mein Papa bis zum Feuerwerk da geblieben, haben den Feuerwehrmann Bob beim Zieleinlauf gesehen.
Am allergeilsten ist es, wenn die letzten Finisher begrüßt werden. Das ganze Stadion hat dann Wunderkerzen an und ich dachte „Ich will auch letzte werden!“
Es war einfach schön!
Am nächsten Tag war noch Siegerehrung, und nein, es sind nicht drei ausgestiegen, es ist eine ausgestiegen nach 150 Radkilometern, die anderen beiden waren tatsächlich langsamer als ich.
Nach der Siegerehrung folgte der Gang zum Arzt. Mein Schleimbeutel am Ellenbogen war gerissen, wo das Glück wirklich mit den Dummen ist: er musste nicht raus operiert werden, da mein Körper die eingedrungenen Keime wohl selbst irgendwie abtötete.
Und mein rechter Daumen war tatsächlich gebrochen. Mich überraschte diese Diagnose nicht.
Ich hatte Schmerzen wie ein Tier.
Ich war einfach nur dumm. Aber iron war ich auch.
Deutsche Vizemeisterin.
Ironman.
Für mich nicht zu fassen, wie ich es schaffen konnte.
__________________
Lerne zu leiden ohne zu klagen
Angi91 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2015, 21:14   #3
FMMT
Szenekenner
 
Benutzerbild von FMMT
 
Registriert seit: 28.12.2007
Ort: Odenwald/Neckar
Beiträge: 9.063
Das ist ja wirklich ein voll passender Bericht für eine Langdistanz , extralang und das eine oder andere lief nicht ganz ideal -
Im Ernst, krasses Durchhaltevermögen
Ob es vernünftig war, ist natürlich ein ganz anderes Thema, aber welcher Vernünftige macht schon eine LD?
Gute Besserung und meinen Glückwunsch
__________________
Meine Sehnsüchte:
Glückliche Familie , Freude am Sport und immer Sonne im Herzen
Challenge MS, für das Gefühl des "Ich kann noch"

Das Leben ist zu kurz für Beinschlagtraining
FMMT ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2015, 22:14   #4
FLOW RIDER
 
Beiträge: n/a
So, ich bin jetzt auch durch.
Was für ein super geiler Bericht.
Du bist eine wahre Heldin!
Tausend Dank dafür

Hast Du Dich für 2016 wieder angemeldet?
  Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2015, 22:14   #5
hanse987
Szenekenner
 
Benutzerbild von hanse987
 
Registriert seit: 25.01.2010
Beiträge: 2.618
Toller Bericht und Glückwunsch zur Vizemeisterin!

Die vielen KM-Angaben haben mich gedanklich auch noch mal durch mein Roth 2015 geführt und hab so überlegt wie es mir zu der Zeit so erging. Danke dafür! Toll dass du es durchziehen konntest, denn bei mir 2014 bei der ersten LD an der Verpflegungsstation bei KM 6-7 mit Kreislaufproblemen Schluss.

Hallo FMMT, wenn wir alle vernüftig währen, bliebe der Spaß auf der Strecke, du hättest nichts mehr mit deinem Engelchen und Teufelchen zu diskutieren und ich würde mich beim Rehasport wiederfinden. Da kann ich auch hin wenn ich alt bin!

Markus
hanse987 ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 02.09.2015, 22:19   #6
TriFra
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Benutzerbild von TriFra
 
Registriert seit: 14.12.2009
Ort: Münsterland
Beiträge: 790
Huch, es ist inzwischen draußen dunkel geworden.

Toller Bericht. Sehr eindrucksvoll.
TriFra ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.09.2015, 09:16   #7
su.pa
Szenekenner
 
Benutzerbild von su.pa
 
Registriert seit: 22.02.2012
Ort: Bavaria
Beiträge: 2.433
Super, klasse Bericht!
su.pa ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 03.09.2015, 15:20   #8
Ulmerandy
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Benutzerbild von Ulmerandy
 
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Ort: Neu-Ulm
Beiträge: 3.354
Autsch - da tut einem beim Lesen dieses tollen Berichtes ja wirklich selbst alles weh. Klasse Leistung!!!
Da hast Du dir auch gleich das volle Programm gegeben.


Und ich muss auch wieder an Roth dieses Jahr zurück denken und merke welch einen Unterschied es ausmacht ob man nur durch Unlust usw. mit sich selbst hadert und kämpfen muss oder wie Du sich mit einer Verletzung durchkämpft.

Du hast meinen allergrößten Respekt!!

Und ist in der Zwischenzeit alles halbwegs verheilt und die Anmeldung für 2016 fix

Viele Grüße

Andy
Ulmerandy ist offline   Mit Zitat antworten
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